Tagebuch Tag 6

Via Alpina 17.07. 2021 6. Tag


Sand in Taufers - Rieserfernerhütte

Angekommen... Jetzt - 1545 Uhr - ist auch endlich der Adrenalinlevel wieder auf ein einigermaßen normales Niveau abgesunken. Dabei sind schon 2 Stunden vergangen. Vor zwei Stunden kamen wir also auf der Rieserfernerhütte an, nachdem wir 4, 5 Stunden im Aufstieg von der Bushaltestelle gebraucht hatten. Zum Glück hatten wir den Bus genommen, denn zu Fuß sind es von Sand/Taufers noch einmal 13 km und 700 Höhenmeter. Die haben wir gespart und es wäre zum Großteil Asphaltstraße gewesen. Direkt an der Bushaltestelle, am Einstieg zum Weg zur Rieserferner-Hütte hatte sich schon eine Gruppe versammelt und lief gerade los, auch zur Hütte.
Als wir den Bus verließen, begann es zu regnen. Kein guter Start, aber wir zogen uns gleich regenmäßig an. Kurz danach am Anstieg wurde es mir dann wieder zu warm. Es ging durch den Wald recht steil nach oben. Die Gruppe holten wir nach etwa 50 Minuten ein, obwohl sie nur mit einem Tagesrucksack unterwegs waren. Der Regen wurde mal stärker, mal schwächer, ich zog mir meine Wanderjacke (dieses Handy schreibt, was es will und ändert einfach die Wörter, die ihm besser gefallen, blöde AI) an und verpackte die Regenjacke. Nach mehr als einer Stunde kamen wir auf eine liebliche Almwiese, mit Gebirgsfluss, was wohl bei weniger Regen eher ein Bach ist und einem fantastischen Ausblick auf die kesselförmigen Berge, die den Talabschluss bildeten, auf die wir heute noch hochkraxeln mussten. Lt. Beschreibung sollten es etwas mehr als 1300 Meter Aufstieg zur Hütte sein, es wurden 1500 Höhenmeter. Das Wetter war vom Fön geprägt. Also kräftiger Wind blies uns den Regen von allen Seiten ins Gesicht, schob uns vorwärts, und drang sogar durch die Regensachen. Wir machten kontinuierlich Höhe und kamen auch gut voran, nun schon vor der Gruppe, die recht ungleichmäßig zusammengesetzt schien und weit auseinandergezogen lief. Die Natur wurde immer rauer, langsam verschwanden die letzten Krüppelkiefer, der Weg bestand immer öfters aus Felsplatten, sehr schön angelegt. Nach jeder Stunde aßen wir vorsorglich Traubenzucker, um keinen Hungerast zu bekommen. Stetig, stetig, machten wir Höhe. Und der Wind wurde immer stärker. Es kamen uns Wanderer in Turnschuhen und Leggins entgegen, wahrscheinlich sind sie umgekehrt und haben die Tour abgebrochen, denn es waren 30 Personen auf der Hütte angemeldet und wir waren die ersten, die die Hütte erreichten. Je höher wir kamen, umso stärker blies der Wind. Und Fönwind, das wissen wir, kann heftig sein und er war heftig. An einer besonders windigen Stelle kamen uns zwei Frauen mit drei Kindern entgegen und baten uns dem Hüttenwirt zu sagen, dass sie nicht kommen. Der Wind war so stark, dass er uns manchmal einen Meter zur Seite oder nach vorne schob, ohne dass wir das wollten. Die eine Frau hielt die zwei Kinder ganz fest an der Hand und stieg ab. Mit der Höhe nahm auch die Bequemlichkeit ab, der Weg wurde anspruchsvoller, steiler, manchmal mussten wir größere Schritte machen und dann nach mehr als 3 Stunden, die letzten Pflanzen waren so gut wie vom Weg verschwunden, begannen die Schneefelder. Wenn es bei manchen kleinen Flecken wohl übertrieben war, von Schneefelder zu sprechen, so gab es auch größere Abschnitte des Weges, die vom Schnee bedeckt waren. Erst hier konnte ich Toma überzeugen, ihre Stöcke zu nehmen, bis hierhin, borgte sie sich bei Flussüberquerungen, die wir alle paar Minuten hatten oder kleinen Schneeflecken eine Stock von mir. Wind, Regen, steil bergauf, Schnee, alles was einem dem Spaß am Wandern verderben könnte, im Vergleich zur Edeltour gestern, bei bestem Wetter, hatten wir auszuhalten. Die Gruppe hatte uns teilweise eingeholt und wir liefen jetzt zu viert, ein Berliner und eine Kemptenerin. Die anderen der Gruppe waren noch zurückgeblieben. Wir waren schon sehr weit oben und dachten, dass wir jeden Moment die Hütte sehen müssten, denn eine Art Pass konnte man schon erahnen und viel weiter höher als bis zu dem Grat ging es nicht. Da stand ich vor einem Schneefeld. Ich ging die letzten 5 Minuten als Erster, da der Berliner vom Weg abgekommen war und zurückmusste, wieder auf den richtigen Weg uns nach. Das Schneefeld war groß, vielleicht 100 Meter lang, steil (also abschüssig) und musste im Travers überquert werden. Ein Umgehen wäre nur mit zusätzlichem Aufstieg und anstrengender Kraxelei über ein Felsbrockenfeld möglich gewesen, was ein höheres Risiko an Verletzungen durch die scharfen Felsbrocken darstellte. Also los und drüber. Schritt für Schritt, Tritt für Tritt, Stufen treten, für die, die nach mir kamen, nicht umschauen, einfach vorwärts und hoffen, dass alles gut geht. Die Rutschpartie hätte mit Schmackes in einem Steinfeld geendet, ob ein Bremsen möglich gewesen wäre, wahrscheinlich kaum. Beide Stöcke halfen, das Gleichgewicht zu halten und nicht abzurutschen. Vier Punkte waren also fixiert, bis auf den Moment, wo einer (Stock oder Bein) bewegt wurde. Langsam kam ich vorwärts, eine Spur hinterlassen, die dem Folgenden etwas mehr Sicherheit geben würde, also ich mühte mich ab für Toma und die deutsche Truppe. Als ich drüben war, drehte ich mich zum ersten Mal um und sah, dass mir niemand gefolgt war. Toma fuchtelte mit ihren Armen in der Luft rum. Zeichen hatten wir nicht ausgemacht, da ich dachte, dass sie mir sofort folgen würde. Ich setzte den Rucksack ab und wollte, da der Wind den Regen stark gegen mich peitschte und ich langsam zu frieren begann, meine Regenjacke überziehen. Das war ein sehr schwieriges Unterfangen. Der Wind blies so stark, dass ich die Jacke nicht unter Kontrolle bekam. Dann klingelte mein Telefon, als ich mit allen Kräften mit der Jacke kämpfte. Also Etappensieg für die Jacke. Toma hat mich angerufen und ich versuchte sie zurückrufen. Keine Chance. Aus Versehen rief ich Sascha an. Auf der anderen Seite wedelte Toma noch mit ihren Armen. Zweite Runde ich gegen Jacke. Diesmal gelang es Ärmel für Ärmel und dann die Jacke anzuziehen. Ich hatte dann schon daran gedacht Toma entgegenzunehmen, aber da kam schon der Erste über das Schneefeld auf mich zu. Dann der zweite und als Fünfte Toma. Es ging alles gut. Danach waren wir ja eh schon auf der Höhe, wir machten noch ein paar Schritte und schon sahen wir die Hütte. Kälte, Aufregung, Anstrengung waren fast schon vergessen. Einen letzten Schreck bekam ich, als die Tür zur Hütte nicht aufging. Beim zweiten Versuch schaffte ich auch das. Ausziehen, dann kamen auch schon Toma und die Wanderer von der Gruppe. Mein Adrenalinspiegel hatte einen Höchststand erreicht. Quatschen, erzählen, ausziehen die nassen Klamotten und dann ging es auch schon aufs Zimmer. Ein Vierbettzimmer für uns allein, mit Waschbecken im Zimmer. Eine heiße Dusche nahm Toma sofort, ich erst etwas zu Trinken und Essen zu mir, dann die Dusche und nun sitzen wir hier mit netten Leuten aus München und quatschen. Und ich komme nicht zum Schreiben. Jetzt schicke ich die Nachricht aber erst einmal ab. Netz gibt es nur am Facebookfenster, das wohl angestrahlt wird für die Bergrettung. Jetzt aber Ende!!!!Wieder etwas total Tolles erlebt.